Die chilenische Erfolgsgeschichte
Und welchen Anteil General Augusto Pinochet daran hatte - Debatte
von Carlos Alberto Montaner
Der Prozeß gegen Augusto Pinochet kann nun eröffnet werden
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Es ist Zeit für ein ernsthaftes Fazit. Vor wenigen Tagen erlitt General Augusto Pinochet zum wiederholten Mal einen Schlaganfall, mehr als 45 Minuten verlor er das Bewußtsein. Zeit genug, einen Geistlichen zu rufen und Pinochet die letzte Ölung zu verabreichen. Der Mann, der am 11. September 1973 -- als er den Sturz Salvador Allendes anführte -- ein korpulenter Militär von 58 Jahren war, großmäulig und stolz, ist heute ein verwundbarer, pflegebedürftiger 89jähriger Greis, angeklagt des Mordes, der Folter und Korruption vor den Gerichten seines Landes und außerhalb.
Das Bild, das Pinochet am besten erklärt, sah ich am 25. November 1975 in Madrid, am Tag seines 60. Geburtstags. Er war nach Spanien geflogen, um der Beerdigung Francos beizuwohnen -- seines Helden und Vorbilds. Pinochet trug Galauniform und hatte sich ein elegantes Cape umgeworfen. Er war sichtlich gerührt. Franco war, wie er selbst, General der Infanterie gewesen. Glühender Katholik, wie er selbst. Und wie er selbst -- so Pinochets feste Überzeugung -- hatte Franco sein Land vor dem Kommunismus gerettet, um in der Folge eine Diktatur aufzubauen, die für immer das Profil Spaniens und das Schicksal seiner Menschen verändern sollte. In diesem Lichte sah sich Augusto Pinochet, und die Hälfte der Chilenen tat es ebenso. Letztendlich war Salvador Allende mit einem sehr schwachen Mandat von nur 36 Prozent an die Macht gekommen. Die übrigen zwei Drittel hatten ihre Stimme Parteien des rechten Spektrums gegeben. Die Spaltung der Gesellschaft in diesem Moment war total. Die Verstaatlichung der Unternehmen, Preiskontrolle und die unhaltbare, aber verordnete Lohnsteigerung hatten eine unbändige Inflation mit sich gebracht, begleitet von wachsender Armut und dem Zusammenbruch der Versorgung. Die radikale Linke versprach vollmundig -- und während sie sich heimlich aufrüstete -- die unmittelbare Revolution nach kubanischem Vorbild. Landbesetzungen wurden durchgepeitscht, gegen die keine Restitutionsklage etwas ausrichten konnte. Der Rechtsstaat hatte zu funktionieren aufgehört. Salvador Allende wußte sehr genau, daß ein Aufstand der Militärs nur Frage der Zeit war. Eine Reihe von Medien, aber auch Parteien wie die Democracia Cristiana, Teile der katholischen Kirche und das Unternehmertum forderten diesen in aller Öffentlichkeit. Auch die Vereinigten Staaten hatten ihn -- wenn auch bei aller Zurückhaltung -- zum Ziel. Es war die Hochzeit des Kalten Krieges; Richard Nixon und Henry Kissinger waren überzeugt, daß sie nicht untätig herumsitzen durften, während die Sowjetunion mit Hilfe Fidel Castros ein weiteres Land Südamerikas eroberte. Dieser Logik folgend, finanzierte der CIA einen Streik der Lastwagenfahrer, der die Regierung Allende empfindlich traf. Zwar war dieser Streik kein ausschlaggebender Stich, aber er trug zum Sturz bei. Kurz vor dem schicksalsschweren Tag versuchte Allende noch, ein Referendum über sein Regierung auszurufen -- überzeugt, dieses zu verlieren, aber mit der Hoffnung, daß dieses Opfer zumindest eine institutionelle Lösung des Konflikts ermöglichen und verhindern würde, daß die Demokratie Chiles implodierte. Ohne Erfolg: Seine Sozialistische Partei, komplett radikalisiert, mehr sogar als die Kommunisten selbst, ließ das Referendum nicht zu. Wenige Tage später bombardierte die Luftwaffe den Palacio de la Moneda, Allende erschoß sich mit einer Maschinenpistole, die ihm ein einst Castro geschenkt hatte. Ein Präsent übrigens, das auch Pinochet später einmal von Castro überreicht werden sollte (wenn auch ein anderes Modell). Obwohl der Putsch mit der nachdrücklichen Unterstützung eines Großteils der Bevölkerung ablief, wurde die folgende, absolut unangemessene und unnötige Unterdrückung zu einem Alptraum auch für viele, die Pinochet ursprünglich unterstützt hatten. Am Ende stand ein Blutzoll, den viele vorausgeahnt hatten: Mehr als 3000 Getötete und Verschwundene; Tausende brutal gefoltert; unter ihnen unzählige Frauen, die unvorstellbare sexuelle Grausamkeiten erleiden mußten, gequält von perversen Psychopathen. Das schwärzeste Kapitel in der Geschichte der chilenischen Armee, die bis dahin die meist respektierte Institution des Landes war. Wie viel wußte Pinochet von diesen Verbrechen? Ein überzeugter Katholik, guter Vater und Behüter seiner Familie. Charmant, umgänglich, witzig. Mit so ausgeprägtem Humor, daß er einst einen Journalisten, der Geheimgespräche des Ministerrats veröffentlicht hatte, nicht drohte, sondern diesem wortkarg, aber freundlich ein Geschäft anbot: Er, Pinochet, würde ihm von seinen intimen Gesprächen mit dem Papst erzählen -- und dafür im Gegenzug den Namen des Maulwurfs erfahren. Sein psychologisches Profil war ohne Zweifel nicht das eines unbarmherzigen und düsteren Tyrannen. Der Öffentlichkeit erschien er wie ein zärtlicher Vater oder Großvater. Trotzdem ist es kaum glaubhaft, daß Pinochet nichts von dem wußte, was in den Kasernen und Gefängnissen der Geheimpolizei ablief. Nichts von der Arbeit des gefürchteten Geheimdiensts DINA --insbesondere vor dem Hintergrund, daß Pinochet selbst eiskalt den Mord an seinem alten Freund, General Carlos Pratts, in Argentinien in Auftrag gegeben hatte oder den am ehemaligen Diplomaten Orlando Letelier, den ein Terrorkommando in Washington in die Luft sprengte. Wie wohl Pinochet diese Taten rechtfertigte? Ganz sicher mit der "Staatsräson" und der brutalen Überzeugung, daß Chile in einem Todeskampf gegen den Kommunismus stand, der alle Mittel heiligte. Ließ nicht auch Castro seine antikommunistischen Gegner hinrichten? Hatte die Welt etwa nicht die grausamen Bilder der sowjetischen Gulags gesehen? Der einzige Weg, das Böse auszulöschen, war Gewalt. In dieser Schlacht war Mitleid mit dem Feind für Augusto Pinochet nichts als Ausdruck fehlenden Patriotismus, ein schwächlicher Verrat an Chile. Im Juni 1974 wurde Pinochet zum Obersten Führer der Nation ernannt, aber sechs Monate später nahm er den weniger einschüchternden Titel des Präsidenten an. Das Land stand bereits unter totaler Kontrolle und mußte aus der ökonomischen Krise befreit werden. Zum Glück für die Chilenen hörte Pinochet -- in Wirtschaftsfragen ahnungslos -- nicht auf seine Militärs, denen das brasilianische Beispiel vorschwebte, wo ein dirigistisches Modell angewandt wurde, das staatliche Großunternehmen unter der Obhut von hohen Armeeangehörigen vorsah. Konzepte mithin, die in der gesamten chilenischen Gesellschaft -- von rechts bis links -- gut ankamen; die nämlich den freien Markt ablehnten und eine Mischung aus Populismus und Keynesiasmus propagierten. Doch nach anfänglichem Zögern holte Pinochet eine Gruppe junger Technokraten als Wirtschaftslenker -- die so genannten Chicago Boys --, die das Land in zur Tradition Chiles völlig gegengesetzte Bahnen lenkten -- und damit, wenn man so will, ganz Lateinamerika. Diese jungen Ökonomen, mit Hernán Büchi und José Pinera an der Spitze, setzten ihre Theorien binnen kurzer Zeit in die Praxis um. Sie schafften die Preiskontrollen ab, vereinheitlichten die Wechselkurse, senkten Zölle und Staatsausgaben, ließen den öffentlichen Devisenhandel zu, öffneten den Markt für Importgüter, privatisierten unzählige Staatsunternehmen und wandelten das Rentensystem -- einer ihrer größten Erfolge -- in individuell finanzierte Sparguthaben um. Nach schwierigen Jahren der Anpassung begann Chiles Wirtschaft Anfang der Achtziger jährlich in einem bisher unbekannten Rhythmus von acht bis neun Prozent zu wachsen, während die bis zu diesem Zeitpunkt weit verbreitete Armut immer mehr abnahm. 1988 ließ Pinochet ein Referendum abhalten, das acht weitere Amtsjahre legitimieren sollte -- ihm jedoch wieder Erwarten eine herbe Niederlage einbrachte mit 43,3 Prozent Zustimmung gegenüber 54,4 Gegenstimmen. Das Desaster für Pinochet wurde absolut, als der Christdemokrat Patricio Aylwin 1989 die ersten freien Wahlen klar gewann -- was auch die entwürdigende Vormundschaft einer Armee, die sich mit dem Verlust der nationalen Kontrolle nur schwer abfinden wollte, nicht verhindern konnte. Seit 1990 haben nacheinander drei Gegner Pinochets die Geschicke des Landes geführt: die Christdemokraten Aylwin und Eduardo Frei sowie der Sozialist Ricardo Lagos. Das Bemerkenswerte an dieser nun schon länger währenden demokratischen Erfahrung ist, daß alle drei die fortschreitende Aufhebung von Pinochets autoritären Exzessen und der Einschränkung des allmächtigen Militärs mit dem Erhalt von zahlreichen Erfolgskonzepten des Ex-Diktators kombiniert haben. Konzepte, die Chile an die Spitze des lateinamerikanischen Kontinents katapultiert haben, mit einer Purchase Power Parity von 10.000 Dollar und einer spektakulären Eindämmung der Armut. Vor einem Jahrzehnt noch lebten 42 Prozent der Chilenen unter der Armutsgrenze. Heute sind es nur noch 18. Wenn sich die Entwicklung in diesem Maße fortsetzt, wird Chile binnen einer Generation das erste lateinamerikanische Land sein, das in den exklusiven Club der Ersten Welt aufsteigt. Doch es gibt noch etwas Wichtigeres als diese schmeichelhaften Daten: Konsequenz der bittersüßen Erfahrung des Pinochetismo und der Erfolge späterer Regierungen ist ein profunder Wandel der Ideen, politischer und wirtschaftlicher Maßstäbe. Der Populismus, die etatistische Revolutionsmentalität sind tot; statt dessen herrscht eine Vision der Entwicklung vor, die in den freien Markt, das Besitzrecht, die Öffnung nach außen und die Überlegenheit der Zivilgesellschaft in ökonomischen wie nationalpolitischen Fragen vertraut. Chile besitzt bereits eine Erste-Welt-Mentalität. In den nächsten Jahren wird das Land einen Grad des Wohlstands erreichen, die mit dieser Kosmovision einhergeht. Chile erreicht das als erster Staat Lateinamerikas. Und in gewisser Weise ist es nur angebracht, der diskussionswürdigen Person des Augusto Pinochet einen Anteil an diesem Erfolg zuzugestehen.
Der auf Kuba geborene Kolumnist Carlos Alberto Montaner schreibt für zahlreiche internationale Blätter. Aus dem Spanischen von Stefanie Bolzen
ein selten dämliche artikel bei dem mensch wahrlich das kotzen kommen kann, wollte ihn euch nicht vorenthalten...